Die theoretischen Untersuchungen zur Dynamik komplexer Systeme sind ein zentrales Anliegen der modernen klassischen Statistik. Gläser und unterkühlte Flüssigkeiten als typische Vertreter für komplexe Systeme mit einer großen Anzahl an identischen oder ähnlichen Elementen werden in der vorliegenden Arbeit als Beispielsysteme zur Untersuchung verschiedener Diffusionsphänomene betrachtet. Allgemein zeigen die Ergebnisse, daß die Analyse solcher Erscheinungen eine breite Anwendung für das Verständnis der Struktur und Dynamik von Gläsern liefert. Mit Hilfe eines neuen Molekulardynamik-Verfahrens werden dichte Lennard-Jones Systeme als Modelle realer unterkühlter Flüssigkeiten untersucht. Schwerpunkt ist die Beschreibung des Einfriervorganges bei Gläsern. Die numerischen Resultate legen einen quasiergodischen Einfrierprozeß nahe, bei dem das System wenigstens die nähere Umgebung eines beliebigen Phasenraumpunktes erreichen kann. Das interessante Verhalten auf langen Zeitskalen wird mit Monte-Carlo-Simulationen an einem spinunterstützten, kinetischen Ising Modell simuliert. Dieses Modell einer unterkühlten Flüssigkeit erlaubt eine realistische Beschreibung kooperativer Prozesse, vernachlässigt aber die Dynamik auf kurzen Zeitskalen. Aus der Bestimmung der Verteilung der Größe kooperativer Regionen kann die Existenz dynamischer Heterogenitäten nachgewiesen werden. Diesem Phänomen entspricht eine, experimentell nachweisbare, extrem unterschiedliche Mobilität an verschiedenen Punkten im Glas. Zur Beschreibung von Leitfähigkeits- und Diffusionsanomalien beim Mischalkalieffekt in kationenhaltigen Gläsern wird ein neues Modell vorgeschlagen, welches die kinetischen Wechselwirkungen zwischen der Glasmatrix und den darin befindlichen Kationen berücksichtigt. Dieses kinetische Wechselwirkungsmodell beschreibt die Diffusion der Kationen in einer, durch die Glasmatrix gebildeten, dynamischen Potentiallandschaft. Entscheidend ist hier der Einfluß der nichtlokalen kooperativen Dynamik der Matrix auf die Mobilität der Kationen, der in diesem Modell berücksichtigt wird. Im Rahmen einer mean-field Analyse wird eine quantitative Beziehung zwischen der Gleichstromleitfähigkeit des Materials und der Kationenkonzentration bzw. dem Kompositionsverhältnis der Kationen gefunden, die sehr gut mit experimentellen Daten übereinstimmt. Das kinetische Wechselwirkungsmodell erlaubt die Beschreibung verschiedener diffusionsgesteuerter Effekte z.B. die Kompositionsabhängigkeit der elektrischen Leitfähigkeit für einen Kationenaustausch unterhalb der Glastemperatur, oder Aussagen zur Deformation von Diffusionsfronten bei feldunterstütztem Kationenaustausch.Die Bewegung einzelner Partikel in Gläsern, als Beispiel komplexer Systeme weist eine typische Rückkopplung mit der Umgebung auf. Als Ergebnis dieser Rückkopplung kann man eine anomale Diffusion erwarten. Dies wird numerisch nachgewiesen, wobei eine kritische Dimension gefunden wird, unterhalb der, je nach Art der Rückkopplung entweder Lokalisierungseffekte bzw. superdiffusives Verhalten gefunden werden. Möglich ist auch eine Anwendung der vorgestellten Methoden und Modelle auf andere komplexe Systeme mit starker Kopplung zwischen den einzelnen Elementen und soll ebenfalls zu aussagekräftigen Ergebnissen führen.
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