Nervenwachstumsfaktor (NGF) ist ein neurotropher Faktor, der für Wachstum, Differenzierung und überleben von Neuronen notwendig ist. Nativer, reifer NGF liegt als Homodimer vor. Jedes Monomer besitzt sechs Cysteine, die einen Cystin-Knoten ausbilden. Dabei formen zwei Disulfidbrücken einen Ring, durch den die dritte Brücke hindurchfädelt. Die beiden Monomere sind über eine hydrophobe Kontaktfläche fest miteinander assoziiert. Die Pro-Sequenz von NGF ist fast so groß wie der reife Teil. Sie besitzt keine Cysteine. NGF stellt ein mögliches Therapeutikum zur Behandlung von Neuropathien des peripheren und zentralen Nervensystems dar. Das Protein ist jedoch nur in äußerst geringen Konzentrationen im Gewebe vorhanden. Für die Verwendung von NGF als Therapeutikum oder für diagnostische Zwecke kommt daher nur die rekombinante Herstellung in Betracht. Die Produktion in prokaryontischen Systemen ist relativ kostengünstig, und es können große Mengen an rekombinantem Protein gewonnen werden. Der bakterielle Organismus ist jedoch nicht in der Lage, NGF in nativer Form im Cytosol zu bilden. Das rekombinante Protein fällt in Form von Einschlusskörpern, so genannten Inclusion Bodies, in der Zelle an. Diese müssen solubilisiert, reduziert und anschließend in vitro renaturiert werden. In einem optimierten Verfahren der Firma Roche ließ sich nativer, reifer NGF bei einer Proteinkonzentration von 2 µg/ml und einer Faltungsdauer von mehr als 100 h in Ausbeuten von lediglich maximal 10 % erhalten. In der vorliegenden Arbeit sollte daher untersucht werden, ob sich die Renaturierungsausbeute verbessern lässt, wenn man statt des reifen NGF dessen Pro-Form verwendet. Tatsächlich ließen sich unter optimierten Bedingungen bei einer Proteinkonzentration von 50 µg/ml Ausbeuten von 35 % erzielen. Renaturierung des reifen NGF in Gegenwart des isolierten Pro-Peptids ergab jedoch keine Erhöhung der Faltungsausbeute (sog. "Faltung in trans"). Unterschiedlich disulfidverbrückte Intermediate von Pro-NGF und reifem NGF wurden mittels Massenspektrometrie untersucht. Bereits 15 min nach Beginn der Faltung ließ sich nativer Pro-NGF nachweisen. Die Renaturierung war nach 2 h fast abgeschlossen. Im Gegensatz dazu ließen sich bei der Faltung des reifen NGF viele nicht-native Disulfidbrücken nachweisen; nativer NGF ließ sich erst nach 24 h detektieren. In vitro ließ sich die Pro-Sequenz des renaturierten Pro-NGF mit Trypsin abspalten. Dabei entstand reifer, biologisch aktiver NGF. In vivo erfolgt die Prozessierung durch Pro-Hormon-Convertasen. Im Bioassay zeigten auch unprozessierter Pro-NGF und das isolierte Pro-Peptid Aktivität. Letzteres ist nur wenig strukturiert und wird leicht durch Proteasen degradiert. Nicht nur NGF, sondern auch andere Neurotrophine könnten in Zukunft als wichtige Diagnostika oder Therapeutika dienen. Da sie untereinander eine hohe Sequenzhomologie aufweisen, sollten sie sich ebenfalls leicht und mit hohen Ausbeuten aus rekombinantem Inclusion Body-Material in ihren jeweiligen Pro-Formen renaturieren lassen.
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