In der vorliegenden Arbeit soll die pharmazeutische Relevanz der Selektine verdeutlicht werden. Zu diesem Zweck wurden Beiträge zur Aufklärung der molekularen Bindungseigenschaften der Selektine erbracht, auf denen aufbauend verschiedene Verbindungen als Selektininhibitoren untersucht und in ihrer Perspektive als potentielle antiinflammatorische Substanzen dargestellt wurden. Weiterhin wird mit der Nutzung von Selektinen als Targetstruktur für Arzneimittelvehikel ein neuer Weg für die Effektivierung einer antiinflammatorischen Therapie aufgezeigt. Selektine nehmen auf Grund ihrer initialen Stellung in der Adhäsionskaskade der Leukozyten unter Entzündungsbedingungen eine Schlüsselrolle in der Entzündungsentstehung ein. Die von den Selektinen vermittelte Leukozytenbindung äußert sich in einer Zellrollbewegung unter Scherflußbedingungen, so daß neben ihrer physiologischen Funktion die Selektine auch durch diese einmalige Sonderform einer Adhäsion aus mechanistisch/biophysikalischer Sicht sehr interessant erscheinen. In der vorliegenden Arbeit wird ein abstrahierendes Testmodell vorgestellt, mit dem im Prozeß des Selektin-vermittelten Zellrollens auf die funktionellen Aspekte der Selektinliganden fokussiert werden kann. Die natürlichen mucinähnlichen Selektinliganden sind in ihrer Funktion der Rollvermittlung ungenügend charakterisiert. Durch Einsatz einer modifizierbaren ligandhaltigen Modellmembran wurde deutlich, daß die Summation vieler schwachaffiner, aber räumlich konzentrierter Einzelbindungen eine essentielle Bindungsvoraussetzung für die Selektine im Rollprozeß darstellt. Daraus konnte postuliert werden, daß die natürlichen Selektinliganden durch eine Multimerisierung von schwach affinen Kohlenhydratepitopen im Molekül die notwendige Bindungsaffinität zu den Selektinen erlangen. Weiterhin wurde deutlich, daß eine Flexibilitätszunahme der in den Ligandenstrukturen das Rollverhalten forciert und damit die Zahl der notwendigen einzelnen Bindungsepitope reduziert werden kann. Mit dieser funktionsfähigen Zellrollanordnung wurden in weitergehenden Untersuchungen Substanzen auf ihre Selektin-inhibierende Wirksamkeit charakterisiert. Da Selektine an einer Vielzahl von pathologischen Entzündungsereignissen beteiligt sind, könnte aus der Blockierung der Selektine die Möglichkeit einer frühen und kausalen Einflußnahme bzw. Unterdrückung dieser pathologischen Prozesse resultieren. In dem dynamischen Rollassay wurden verschiedene glykosidische Verbindungen getestet, woraus sich Struktur-Wirkungs-Beziehungen für potente Selektininhibitoren ableiteten. Das dynamische Testassay erwies sich dabei als aussagefähiger als die gebräuchlichen statischen Zellbindungs-Untersuchungen. Da die vaskulären Selektine räumlich und zeitlich an das Entzündungsgeschehen gebunden von den Endothelzellen exprimiert werden, wurden sie in dieser Arbeit als Targetstrukturen für Arzneimittelvehikel vorgeschlagen. Mit diesem völlig neuartigen Prinzip sollen Arzneistoffe gezielt zum entzündeten Gewebe transportiert werden können, um somit eine antiinflammatorische Therapie zu effektivieren. Als Arzneistoffvehikel werden in dieser Arbeit sog. Immunoliposomen angewendet. Mit einer neuartigen Methode wurden Selektin-Antikörper an Liposomen gekoppelt und deren Targetierungsverhalten an isolierten humanen Endothelzellen in verschiedenen Modellen untersucht. Aufbauend auf dem erfolgreichen Targeting der Liposomen wurde deren Verhalten an den Zielzellen analysiert, um daraus Konsequenzen für die therapeutische Nutzung zu ziehen. In Hinblick auf zukünftige in vivo-Anwendungen wurde das immunogene Potential dieser Immunoliposomen durch Immunogenitätsuntersuchungen in Ratten bei mehrfacher Applikation bestimmt und auf die strukturellen Eigenschaften der Immunoliposomen zurückgeführt.
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