In der vorliegenden Arbeit sollten molekulare Signalzentren untersucht werden, die im Kaninchenembryo bei der Etablierung der Körperachsen und bei der Bildung des Mesoderms als dem ersten der drei Keimblätter während der Gastrulation beteiligt sind. Insbesondere sollte die Bedeutung des Hypoblasten, die ventrale Schicht der zweiblättrigen Keimscheibe, hinsichtlich seiner modulierenden Eigenschaften auf die Mesodermbildung im Epiblasten, der dorsalen Zellschicht, genauer untersucht werden. Das Kaninchen wurde aufgrund seiner in diesen Entwicklungsstadien für die experimentelle Analyse vorteilhaften Morphologie und einer etablierten Stadieneinteilung gewählt. Im ersten Teil der Untersuchungen wurde ein Kulturmodell für Keimscheiben des Kaninchens entwickelt, in dem der Hypoblast von Embryonen unterschiedlicher Entwicklungsstadien in toto reseziert und die Genexpression des Mesodermmarkers Brachyury nach Inkubation in vitro ermittelt werden kann: Während das Gen in kultivierten, hypoblastresezierten Embryonen in Stadien bis 24 Stunden vor Beginn der Primitivstreifenbildung von prinzipiell allen Epiblastzellen exprimiert wurde, trat diese experimentelle Brachyury-Expression in späteren Stadien nur innerhalb eines posterioren Areals der Keimscheibe auf, das zwar der physiologischen Expressionsdomäne entsprach, jedoch im Vergleich zur Kontrollgruppe wesentlich verbreitert war. Im Hypoblasten existiert somit ein Signalzentrum, das hemmend auf mesoderminduzierende Faktoren wirkt, wobei der Epiblast nur in einem engen stadienspezifischen Zeitfenster reagiert. Um die Natur der vom Hypoblasten ausgehenden Signale genauer zu untersuchen, wurden durch in situ Hybridisierungen an ganzen Keimscheiben unterschiedlicher Entwicklungsstadien mRNA-Expressionsmuster von Genen untersucht, die an diesen Musterungsprozessen beteiligt sind. Die Expression der Gap-Junction-Proteine Cx32 und Cx43 ist auf den Hypoblasten bzw. Epiblasten beschränkt und zeigt damit eine strenge konstitutive Trennung der interzellulären Kommunikation in der Keimscheibe auf; darüber hinaus bildet Cx32 schon in undifferenzierten Entwicklungsstadien im Hypoblasten eine anterior-posterior polarisierte Expressionsdomäne. Das Signalmolekül Wnt3 und der nachgeschaltete Transkriptionsfaktor Lef1 werden verstärkt in einem Areal exprimiert, in dem sich später der Primitivstreifen ausbildet; β-Catenin, das Wnt-Signale vom Zytoplasma in den Zellkern weiterleiten kann, wird erst zu Beginn der Primitivstreifenbildung verstärkt in Mesodermzellen exprimiert. Das Signalmolekül Cerberus-related1, ein Inhibitor Mesoderm induzierender Faktoren, zeigt zunächst eine dynamische Expression im anterioren Hypoblasten und findet sich später im anterioren Abschnitt des Primitivstreifens. Die Kulturexperimente und die Genexpressionsanalysen definieren damit neue Signalzentren, die an der Etablierung der Körperachsen beteiligt sind, und bilden die Grundlage für ein hypothetisches Modell, das geeignet ist, die initiale Entwicklung der Achsenpolarität im Säugerembryo zu beschreiben.
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